Es war ziemlich dunkel. Und der dicke Nebel lag schwer auf den Straßen. Hier und da brach ein seichter Lichtschein durch die Finsternis. Ich zog mir den Reißverschluss meiner Felljacke weiter noch oben, da die Kälte mir schon das Blut in den Aden gefrieren ließ. Schwerfällig lies ich mich neben einem kaputten Wagen niedersinken. Er war kaum im der Dunkelheit auszumachen. Doch eigentlich konnte es mir egal sein. Auch hatte ich keine Ahnung, was für eine verfluchte Straße das den überhaupt war. Langsam ließ ich meinen Kopf nach hinten sinken. Wann war das alles nur vorbei? Mein Haar klebte unschön an meiner Stirn. Ich müsste mir mal wieder die Haare waschen. Doch das war nicht so leicht. Ja, ich hatte weder eine Wohnung noch einen Job. Bis vor ein paar Monaten war mein Leben gar nicht mal so schlecht verlaufen: Ich hatte eine Wohnung, eine Arbeit und Freunde gehabt. Doch alles war mit einem Schlag fort gewesen. Nachdem ich alles verloren hatten, traute ich mich nicht mehr zu meinen Eltern. Nicht mehr in meine Stadt. Ich wollte nur noch weg.
Jetzt, wo ich allein war, verwünschte ich es, meinen eigenen Tod nicht vorgeteuscht zu haben. Meinen bürgerlichen Namen abgelegt zu haben. Ich konnte mir meine Eltern vorstellen, die jeden Tag zu meinem leeren Grab fuhren und dort um ihre Kind weinten, das nur 21 geworden war.
Nun viel mein Kopf nach vorn. Ich war müde. Erschöpft. Aber auch kein Wunder - schließlich war ich ständig unterwegs. In dieser Zeit hatte ich dramatisch abgenommen. Meine Klamotten waren mir nun gute zwei Nummern zu groß und wenn ich keinen Gürtel hätte, wären sie mir schon lange von meinen Hüften gerutscht.
Langsam hob ich wieder den Kopf und... Ein dumpfer Schlag.
Schwarz. Alles wurde schwarz.
........
.....
...
Wo bin ich? Was ist passiert?
Mein Schädel brummte. Ach ja... ich wurde niedergeschlagen. Mühevoll öffnete ich meine Augen und sah mich um. Ich saß auf einem Stuhl. Meine Hände auf dem Rücken gefesselt. Mist.
Der Raum sah sehr heruntergekommen und schmutzig aus. Die Deckenlampen waren zerschlagen worden und die Scherben lagen noch auf dem schwarz-weiß gefließten Boden. Weiter hinten in der Dunkelheit war eine Art Bar zu erkennen und... Menschen! So weit ich erkennen konnte wahren es fünf Personen, doch Näheres konnte ich nicht erkennen.
Gerade sah einer zu mir hinüber und ein Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Das konnte selbst ich erkennen. Er stieß sich von der Bar ab und trat zu mir in den schummrigen Schein, der von der kahlen, gelblich vor sich hinflackernden Glühbirne ausging. Endlich konnte ich ihn besser erkennen. Seine Haar war kurz und blond. Er trug eine Mütze auf den Kopf. Seine Augen waren natürlich blau. Passend dazu trug er ein blaues Shirt und eine Jacke darüber. Seine Blue-Jeans hing ihm kaum noch auf den Hüften und von dem ursprünglichen Weiß seiner Schuhe war nur noch ein schwacher Schimmer unter dem ganzen Staub und Dreck zu erkennen.
„Na, endlich wach?”, fragte er und sein Grinsen wurde noch breiter. Ich wollte ihm antworten, doch verließen keine Worte meinen Mund. Erst jetzt merkte ich, dass mir die Typen ein Streifen Klebeband auf den Mund gebabbt hatten. Nun lachte der Typ. Ich sah ihn seelenruhig an. Sein Lächeln verblasste. Ihm schien mein Verhalten nicht zu gefallen. Ich vermutete, dass er am liebsen gesehen hätte, wie ich in Panik verfiel. Aber nicht mit mir.
Nun funkelte er wütend zu mir herab. Ein Klicken erregte meine Aufmerksamkeit. Der Blonde hatte ein Taschenmesser gezückt. Hatte er etwa vor, mich zu töten? Mit einem Schrei ließ er das Messer auf mich nieder sausen. Schnell rückte ich mit dem Stuhl ein Stück zurück, dennoch streifte mich das scharfe Stück Metal etwas und zerriss meine Hose. Wieder sah der Mützenträger zu mir herunter. Nun hatte ich ihn wohl gänzlich verärgert. Mit Gewalt riss er mir das Stück Klebeband vom Mund, was unangenehm ziebte.
„Du verdammtes Miststück!”, schrie er mir ins Ohr, nachdem er mich an den Haaren hoch gerissen hatte. „Danke für das Kompliment, Hurensohn.”, entgegnete ich. Das war allerdings nicht klug gewesen. Nun war er außer sich. Brutal riss er mich vom Stuhl aus in die Höhe, schliff mich weiter über den Boden und warf meinen Körper am Ende dieser Prozedur auf ein zerschlissenes Sofa.
„Ich lasse mich nicht von dir beleidigen!” Wieder spürte ich sein Messer - nur dieses mal an meiner Kehle.
„Lass es sein, Glen.”, ertönte es von einer mir unbekannten, weiteren Stimme. Aus dem Schatten trat ein Typ mit schwarzem Haar und einer Brille hervor. Seine Augenfarbe war bräunlich, seine Kleindung ebenfalls. Glen, so wie mein Angreifer wohl hieß, funkelte nun den Schwarzhaarigen an. „Halte dich daraus, Reim! Er gehört mir!” Wieder riss er mich an den Haaren hoch. Ich musste vor Schmerz aufkeuchen, was Glen wieder ein Lächeln aufs irre Gesicht zeichnete. „Nun bist du dran!”
Doch bevor ich sein Messer zu spüren bekam, hatte dieser Reim den Arm des Verrückten gepackt und hielt ihn zurück. „Du darfst ihn nicht umbringen! Er ist für den Boss!”, sagte er dabei.
Ich sah beide an. »Er war für den Boss«? Wenn die glaubten, ich würde mich so einfach verschenken lassen, wie ein Gegenstand, dann hatten sie sich aber gewaltig geschitten!
Der Blauäugige ließ nun endlich meine Haare los. Ich fiel auf die Couch zurück und rollte auf die Seite.
„Pff, der Boss.”, Glen klang abfällig. Er schien nicht viel von seinem Vorgesetzten zu halten.
„Steh auf!”, befahl Reim. Ich bewegte mich nicht. Sturr sah ich ihn an. „Nein!”, war meine Antwort.
„Glen.”, sagte der Schwarzhaarige einfach und wieder spürte ich einen heftigen Schmerz an meinen Kopf. „Ist ja gut... ist ja gut...”, gab ich schwach von mir, als ich spürte, wie sich der Schmerz verflüchtigte. Schwer erhob ich mich auf die Füße, was gar nicht so leicht war, da meine Hände noch immer gefesselt waren.
Die beiden Männer, die ich auf gute sechs Jahre älter als ich schätze, führten mich einen langen Gang entlang, der nicht besser aussah, als der Raum in dem sie mich zuvor erst gefangen gehalten hatten. Die Fliesen waren genauso schmutzig und die Wände übersäht mit hässlichen Flecken.
Nun endlich kamen wir bei der letzten Tür des Ganges an. Reim klopfte an die Tür.
„Wer stört?”, fragte eine fremde Stimme von innen. „Reim und Glen. Wir bringen Ihnen den Kerl, den wir heute in unserem Stadtteil aufgegriffen haben.”
„Gut, schickt ihn rein.”, befahl die tiefe Stimme des Fremden. Während der eine die Tür öffnete, schupste mich mein »ach so guter Freund« Glen in den Raum. Darauf war ich nicht vorbereitet gewesen. Ich stolperte in das Zimmer und fiel unsanft auf den Laminatboden. Er war überraschend sauber. Als ich mein Blick durch den Raum schweifen ließ, stellte ich fest, dass er wie ein typisches Büro aussah. Tisch, Regale, einen riesengroßen Schreibtisch, hinterdem ich die Person, die wohl der Boss dieser zwei Rüpel sein sollte, nicht sehen konnte. „Wie nennt man dich?”, fragte er. „Ich habe viele Namen.”, entgegnete ich. „Mir genügt einer.” Ich antwortete nicht. Der Kerl konnte mich mal.
„Du willst wohl, dass ich dir einen Namen gebe.”, unterbrach er die Stille. Der »Boss« stand auf. Als er sich umdrehte und auf mich zu kam, sah ich ihn ungläubig an. Er war unglaublich schlank. Sein langes, schwarzes Haar und die dunklen Augen strahlten Autorität aus. Mit seinem einflussreichen Blick sah er auf mich herab. Er trug einen langen, dunklen Mantel aus feinem Stoff. Auch seine Hose und Schuhe sahen sehr teuer aus. Ich kam mir vor, wie ein Tagelöhner, mit meiner jetzt zerrissen Hose und der alten Felljacke.
Der Schwarzhaarige sah aus dem Fenster zu meiner Rechten. Der Halbmond schien durch das Fenster. „Moon, so werde ich dich ab jetzt nennen.”, sagte er kühl. „Was soll das heißen? Ich werde nicht hier bleiben!”, gab ich zurück.
„Du hast keine andere Wahl. Ich bin jetzt dein Meister.” Der Kerl war doch krank. Dachte der wirklich ich würde mich so leicht versklaven lasse? Niemals!
Ich betrachtete ihn genauer. Wenn mich nicht alle Sinne täuschten war der Kerl selbst sogar zwei Jahre jünger als ich. „Du hast keine Wahl. Oder ich überlasse dich Glen und seinen Freunden. Sie würden sich sicher freuen, mit dir ihren Spaß zu haben.” Ich schluckte. Der Verrückte hatten Freunde? Wenn ich ehrlich war, wollte ich gar nicht wissen, wie die so drauf waren.
Der Unbekannte nahm ein Messer in die Hand und kam auf mich zu. Instinktiv rückte ich etwas zurück. Zu meiner großen Überraschung jedoch schnitt er meine Fesseln durch.
„Da drüben ist ein Bad. Dort liegen auch neue Sachen für dich. Geh duschen und zieh dich um.” Es war wohl ein Befehl. „Warum?”, fragte ich, während ich mich aufrichtete. „Ich hab dich da sitzen sehen. Du gefielst mir auf Anhieb.”
Aha, und das hieß wohl, dass man Leute, die man gut findet, einfach entführt. „Geh nun!”, sagte er in barschem Ton. Unterwürfig nickte ich kurz und schlich zum angrenzenden Bad. Wo bin ich da nur hinein geraten?